Bernhard W. Wegener (ZUR 2010, 227 ff.)
Ist die Planung noch rational? Europäisches Naturschutzrecht und nationale Infrastrukturentwicklung

In seinem vorgenannten Beitrag geht Wegener der insbesondere vom früheren Richter am BVerwG Vallendar geäußerten Kritik am europäischen Naturschutzrecht sowie der zunehmend weiter werdenden Klagerechte von Naturschutzvereinigungen nach. Er kommt zu einem ausgewogenen Ergebnis und unterbreitet einen eigenen Lösungsvorschlag.

Nach einem kurzen Abriss der historischen Entwicklung des europäischen Naturschutzrechts (in der Ausgestaltung durch die Gerichte, insbesondere des EuGH), geht der Autor der Frage nach, inwieweit sich die erstarkten naturschutzrechtlichen Vorgaben empirisch tatsächlich als Hemmschuh für Infrastrukturmaßnahmen erwiesen haben. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass allenfalls die Lästigkeit des zu durchlaufenden Verfahrens gestiegen ist ebnso wie die Kosten für Vermeidungs- und Ausgleichmaßnahmen. Hier setzt dann auch seine Kritik an: Die Sinnhaftigkeit vieler Maßnahmen stehe in den Sternen; die deutlich höheren Verfahrenskosten allein wegen der benötigten Fachgutachten ließen sich sinnvoller einsetzen, insbesondere dem Naturschutz direkt zugute gebracht werden.

Die letztlich dahinter stehende Problematik arbeitet Wegener gut heraus: Die bisherigen Freiheiten der Verwaltung konnten einen effektiven Naturschutz nicht garantieren, da die Verwaltung politischen Zwängen unterworfen ist und zudem in aller Regel sehr rasch einer Identifizierung mit dem jeweiligen Vorhaben unterliegt. Eine stärkere gerichtliche Kontrolle unter Einschaltung der Naturschutzvereinigungen als “Anwälte der Natur” ist im Ansatz ein passabler Weg, um hier gegenzusteuern. In Anbetracht der Dynamik und Komplexität des Schutzgutes – zumal beim derzeitigen Kenntnisstand (die Ökosystemforschung steckt noch in den Kinderschuhen) – gestaltet sich dies jedoch schwierig; das Recht gerät an seine Grenzen (siehe hierzu auch mein Beitrag in UPR 2010, 169 ff.). Wegener schlägt daher die Schaffung eines pluralistisch besetzten “Naturerbe-Trusts” vor, auf den das Eigentum an den Natura 2000-Gebieten übertragen wird und mit dem – im Wege der Verhandlung – eine Lösung gefunden werden muss, um diese Gebiete direkt oder indirekt in Anspruch nehmen zu können. Gegen die Verweigerung einer entsprechenden Nutzung könnten dann die Vorhabenträger notfalls klagen; die Trägheitslasten würden umgekehrt.

Der Ansatz ist interessant, bedarf aber – was auch Wegener einräumt – zur Beurteilung seiner Tragfähigkeit noch der Konkretisierung. Einen Teil der bestehenden Probleme werden sich freilich auch dadurch nicht lösen lassen, da sie einerseits – im wahrsten Sinne des Wortes – naturbedingt und andererseits schutzsystembedingt sind. Dass Gerichtsverfahren ersparende – wie auch immer ausgestaltete – Verhandlungslösungen im Übrigen wahrscheinlich nicht das von der EU – vor allem kurz- und mittelfristig – angestrebte Schutzniveau zu erreichen in der Lage sind, belegen zudem die Erfahrungen in Kanada (hierzu Prutsch/Pröbstl/Haider, Strategien zum Schutz der Biodiversität, NuL 2008, 15 ff.). Schließlich sind m.E. ein Großteil der Probleme hausgemacht – zum einen durch die strikte Fokussierung auf allein naturschutzfachliche Kriterien bei der Auswahl der Schutzgebiete (instruktiv hierzu auch der Beitrag von Gärditz, DVBl. 2010, 247 ff.) und zum anderen durch die erst fahrlässige Verzögerung der Auswahl sowohl der Vogelschutz- als auch der FFH-Gebiete durch die Mitgliedstaaten und die dann überstürzte und letztlich – legt man einmal die methodischen Maßstäbe der Entscheidungstheorie an – in weiten Teilen konzeptlose Auswahl dieser Gebiete. Des Weiteren hat man auch in Deutschland bis heute noch gar keinen Gesamtüberblick über das Arten- und Habitatinventar, hat aus den vorhandenen – lückenhaften – Daten einfach Gebiete ausgewählt und gemeldet. Problematisch ist dabei, dass die vorhandenen Daten eben häufig solche waren, die anlässlich von ins Auge gefassten Infrastrukturmaßnahmen und dergleichen erhoben worden sind, so dass Konflikte geradezu heraufbeschworen wurden (Musterbeispiel ist die BAB A44). Fehler in der Grundsteinlegung lassen sich aber im Nachhinein nur bedingt korrigieren.

Tags: , ,

Kommentieren