BVerwG, Beschluss v. 01.04.2009 – 4 B 62.08 – [Flughafen Kassel Calden]

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat mit Beschluss v. 01.04.2009 – 4 B 62.08 – entschieden, dass u.a. das europäische Naturschutzrecht dem Ausbau des Verkehrslandeplatzes Kassel-Calden zu einem regionalen Verkehrsflughafen nicht entgegensteht und damit die Beschwerde des Bundes für Umwelt und Natur Deutschland (BUND) wegen der Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen. Das Urteil des VGH Kassel v. 17.06.2008 – 11 C 1975/07 ist damit rechtskräftig.In Kassel-Calden gibt es derzeit etwa 36.000 Flugbewegungen pro Jahr. Den größten Anteil daran haben Logistik- und Geschäftsflieger, aber auch Sportflieger. Der Flugplatz selber gilt als stark sanierungsbedürftig; aufgrund der Lage der bisher 1.500 m langen Landebahn “gegen die Berge” dürfen größere Flugzeuge aus Sicherheitsgründen nicht voll beladen werden. Die Start- und Landebahn soll daher gedreht und auf 2.500 m ausgebaut werden, um auch typischen Ferienfliegern wie der Boing 737 oder dem Airbus A 320 das Ansteuern von Kassel zu ermöglichen. Im Jahr 2020 wird dann mit etwa 640.000 Passagieren gerechnet.

Das Regierungspräsidium Kassel hatte den Flughafenausbau im Juli 2007 durch Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses genehmigt. Die hiergegen gerichteten Klagen von Kommunen, Anwohnern und des BUND wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof durch seine Urteile v. 17.06.2008 – 11 C 1975/07 ab.

Äußerst bemerkenswert sind die in der Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses enthaltenen Ausführungen des 4. Senates zum Artenschutz, speziell zur Ausnahmeregelung des Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie bei ungünstigem Erhaltungszustand einer Art. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte hier unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH v. 14.06.2007 – Rs. C-342/05 [Finnischer Wolf], NuR 2007, 477, 478 Rdnr. 29, eine Ausnahme in Fällen für möglich gehalten, in denen sich die betreffende Maßnahme hinsichtlich des Erhaltungszustandes neutral verhält, also diesen nicht weiter verschlechtert, und “außergewöhnliche Umstände” vorliegen. Außergewöhnliche Umstände seien dabei in Anlehnung an die Leybucht-Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil v. 28.02.1991 – Rs. C-57/89 – [Leybucht]) auch solche, die zu positiven Auswirkungen für die beeinträchtigten Arten führen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dies im Ergebnis unbeanstandet gelassen (Beschluss, UA, S. 15 ff.). Wer sich allerdings klare Worte der obersten Verwaltungsrichter erhofft hatte, wird enttäuscht. Unbeantwortet bleibt, ob und – wenn ja – wann sog. populationsstützenden Maßnahmen als außergewöhnliche Umstände eine Ausnahmeerteilung rechtfertigen können. Im Übrigen deutet das Bundesverwaltungsgericht an, dass das Kriterium der außergewöhnlichen Umstände ehedem sehr weit zu verstehen sein könnte und damit im Ergebnis kein Unterschied mehr zur herrschenden Literaturmeinung besteht, die lediglich das Ausbleiben einer weiteren Verschlechterung des Erhaltungszustands der betreffenden Art zur Bedingung macht (so auch NDS OVG, Urteil v. 11.09.2008 – 7 KS 1269/00 – [B1 Ortsumgehung Hildesheim - Himmelsthür]).

Bis zuletzt war kolportiert worden, der Senat erwäge, der Beschwerde des BUND stattzugeben und die Revision zuzulassen. Offensichtlich haben die Richter einen anderen Weg gefunden, wichtigen Fragen auszuweichen. Solange das Bundesverwaltungsgericht sich ganz auf den konkret zur Entscheidung stehenden Fall konzentriert und darüber hinaus nichts oder nur Verwirrung Stiftendes zur Rechtssicherheit beiträgt, gilt im Planungsrecht – soweit das europäische Naturschutzrecht betroffen ist – auch weiterhin der herrschende Grundsatz des trial and errors. Zuzugeben ist dem Bundesverwaltungsgericht freilich, dass es nicht ganz einfach ist, zwischen Verhinderung des Eingreifens der Vorlagepflicht und den sich daran anschließenden Abenteuern einerseits und dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit andererseits die rechte Entscheidung zu treffen. Kernproblem scheint daher wieder einmal die Unkalkulierbarkeit des Europäischen Gerichtshofs zu sein.

Weitere Informationen:

Fundstelle (Leitsätze und Gründe):

  • NuR 2009, S. 414 ff.

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