BVerwG, Beschluss v. 5.9.2012 – 7 B 24.12 – [Steinkohlekraftwerk]

Mit Beschluss vom 5.9.2012 hat das BVerwG auf eine Revisionsnichtzulassungsbeschwerde hin im Wege der “kleinen Revision” die bislang noch nicht höchstrichterlich entschiedene Frage beantwortet, ob die an sich in der FFH-Verträglichkeitsprüfung zulässigen Bagatellschwellen vorhabenbezogen oder “rezeptorbezogen” zu verstehen sind.

Das BVerwG hat die Frage in letzterem Sinne beantwortet: Anders als etwa im Immissionsschutzrecht bei der TA Luft verfolge das europäische Habitatrecht einen rein wirkungsbezogenen Ansatz. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL verpflichte insofern sogar ausdrücklich zu einer Summationsprüfung. Dies könne bei der Anwendung von Bagatellschwellen nicht unberücksichtigt gelassen werden. Der Gefahr der schleichenden Entwertung von Schutzgebieten durch nacheinander genehmigte Vorhaben müsse effektiv entgegengewirkt werden.

Das BVerwG hat diese Entscheidung explizit nur mit Blick auf die 3% -Irrelevanzschwelle bei Überschreitung der an sich maßgeblichen Critical Loads (CL) getroffen. Die Ausführungen sind indes so allgemein gehalten, dass man dies hinsichtlich sonstiger Bagatellschwellen (etwa die nach Lambrecht/Trautner 2007) wohl wird ähnlich sehen müssen.

Der Beschluss überzeugt nicht: Der 7. Senat des BVerwG hat hier letztlich eine nicht sinnvoll erscheinende Unterscheidung in Vorbelastung und Vorhabenskumulation eröffnet. Würde es in der Tat einen Unterschied machen, ob sonstige genehmigte Vorhaben bereits realisiert sind (wenn ja, dann Vorbelastung, wenn nein, dann Vorhabenskumulation), wären Rechtsfragen an den letztlich zufälligen Umstand der Vorhabensrealisierung geknüpft. Außerdem gibt es keinerlei Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung einer bereits realen und einer eben bislang nur – im weiteren Sinne – planerischen Vorbelastung. Damit stellt sich aber die im Beschluss vom 5.9.2012 unbeantwortet gelassene Frage nach dem maßgeblichen Referenzzustand, ausgehend von dem Irrelevanzschwellen nur noch in Summe Anwendung finden können sollen: der Zeitpunkt der Gebietsmeldung; der Zeitpunkt der Gebietslistung; der Zeitpunkt der innerstaatlichen Unterschutzstellung; was ist, wenn sich Schutzgebiete seit ihrer Meldung, Listung oder Unterschutzstellung verbessert haben? Wäre der Ansatz des 7. Senats richtig, hätte der 9. Senat des BVerwG in seinem Urteil vom 14.4.2010 (Az. 9 A 5.08) den Bau der A44 wohl stoppen müssen, da die maßgeblichen CL bereits um knapp 300% überschritten waren. Nun fand die 3%-Irrelevanzschwelle dort aber ihre Rechtfertigung gerade darin, dass eine Zunahme der Stickstoffdeposition in dieser Größenordnung bei entsprechender Vorbelastung nach der tatrichterlichen Einschätzung des BVerwG keine signifikanten Auswirkungen hat. Damit aber ist diese Begatellschwelle entgegen der Ansicht des 7. Senats sehr wohl vorhabenbezogen zu verstehen.

Richtigerweise wäre hier die Frage zu stellen gewesen, ob diese Irrelevanzschwelle bei der konkreten Vorbelastung und den konkret in Rede stehenden Lebensraumtypen überhaupt angewendet werden kann. Gleiches gilt im Grundsatz mit Blick auf den BfN-Leitfaden von Lambrecht und Trautner. Wenn danach (bspw. auf S. 40) eine erhebliche Vorbelastung sogar eine noch großzügigere Handhabung der Bagatellschwellen zu begründen vermag, kann die von den Umweltverbänden gern bemühte These, die Bagatellschwellen dürften pro Gebiet nur einmal angewendet werden (wiederum: ausgehend von welchem Referenzzustand?!), nicht richtig sein. Zutreffend ist freilich, dass wirkungsbezogen betrachtete werden muss. Zugleich ist aber die Ermahnung der Ersteller diverser Leitfäden, nicht in pauschale Betrachtungsweisen zu verfallen, ernst zu nehmen. Ob also eine Bagatellschwelle auch und gerade vor dem Hintergrund bereits bestehender (Vor-)Belastungen nochmals angewendet werden kann, ist im Einzelfall am Maßstab der Erreichbarkeit eines günstigen Erhaltungszustands der erhaltungszielrelevanten Lebensraumtypen und Arten zu beantworten; die Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands darf durch das in Rede stehende Vorhaben langfristig gesehen nicht signifikant erschwert werden.

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