BVerwG, Urteil v. 09.07.2009 – 4 C 12.07 – [Flughafen Münster/Osnabrück]

Mit Urteil vom 09.07.2009 hat das BVerwG das Urteil des OVG Münster vom 13.07.2006 – 20 D 80/05.AK aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das OVG zurückverwiesen.

Gegenstand des Verfahrns war die Verlängerung der Start- und Landebahn des Flughafens Münster/Osnabrück, die die Querung des Eltingmühlenbachs erforderlich macht. Der Bach ist Teil eines FFH-Gebietes, in dem auch ein prioritärer Lebensraumtyp vorkommt. Er soll auf einer Länge von 390 m übertunnelt werden. Das OVG Münster hatte die Klage abgewiesen. Das Ziel, den Flughafen für den Interkontinentalverkehr auszubauen, rechtfertige jedenfalls im Rahmen der Abweichungsentscheidung das Vorhaben.

Problematisiert und nun auch im Urteil geklärt ist endlich die leidliche Frage, ob bei einer FFH-Abweichungsprüfung die EU-Kommission schon dann zu beteiligen ist, wenn in dem betroffenen Gebiet prioritäre Lebensraumtypen oder Arten vorkommen oder nur dann, wenn prioritäre Lebensraumtypen oder Arten auch selbst beeinträchtigt werden könnten. Der 9. Senat hatte sich bis zuletzt um die Beantwortung dieser Frage herumgewunden. Der 4. Senat sprach sich nun begrüßenswerter Weise klar für die restriktivere, im Übrigen auch von der Kommission selbst vertretene Auffassung aus: Beteiligung nur bei möglicher Betroffenenheit prioritärer Gebietsbestandteile selbst.

Bevor der 4. Senat weitere Fragen der Abweichungsprüfung anging, stellte er klar, dass eine erhebliche Beeinträchtigung geschützter Lebensraumtypen nach Anhang I der FFH-Richtlinie nicht schon dann vorliegt, wenn charakteristische Arten auerhalb des Lebensraumes (irgendwie) betroffen sind, sondern erst dann wenn diese eine für die Erhaltung des Lebensraumes notwendige Funktion haben.

Im Zentrum der Entscheidung standen aber die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses i.S.v. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL. Der Senat beanstandete, dass das OVG Münster den Ausnahmecharakter der Abweichungsprüfung nicht hinreichend berücksichtigt habe; ein “bereits für sich” erhebliches Gewicht öffentlicher Belange gebe es nicht. Maßgeblich sei bei Infrastrukturvorhaben insbesondere deren Dringlichkeit, die sich wiederum nach dem rechtlich festgelegten oder tatsächlich zu erwartenden Bedarf bestimme. Bei “Angebotsplanungen” – wie mangels verbindlicher Bedarfsfeststellung regelmäig im Bereich des Luftverkehrsrechts – komme daher der Prognosesicherheit entscheidende Bedeutung zu. Hierzu hat sich das OVG jedoch überhaupt nicht geäußert, insoweit keinerlei Feststellungen getroffen, weshalb die Sache zurückzuverweisen war.

Ebenfalls erörtert wurde, ob Kohärenzmaßnahmen bereits im Rahmen der Abwägung – “überwiegende öffentliche Interessen” – Berücksichtigung finden können. Der Senat sprach sich insoweit für eine differenzierte Betrachtung aus: Sofern ein konkreter Gebietsbezug bestehe, also nicht nur der globalen Kohärenz des Netzes Natura 2000 insgesamt Rechung getragen werde, könnten die Kohärenzmaßnahmen durchaus Berücksichtigung im Rahmen der Abwägung finden. Hintergrund ist, dass es gegenstand der diesbezüglichen bipolaren Abwägung das Integritäts- und nicht auch das Kompensationsinteresse des betreffenden Gebietes ist. Auch was das angeht, hatte sich das OVG Münster zu weit aus dem Fenster gelehnt und das bloße Kompensationsinteresse in die Abwägung mit einbezogen, weshalb die Sache auch aus diesem Grund zur nochmaligen Entscheidung zurückzuweisen war.

Die FFH-Alternativenprüfung wurde ebenfalls problematisiert. Bereits Gegenstand des Rechtsgesprächs in der mündlichen Verhandlung war insoweit insbesondere die Abgrenzung zwischen bloßen Abstrichen vom Zielerreichungsgrad des betreffenden Vorhabens und dem Vorliegen eines anderen Vorhabens. Der Senat konstatierte nun, dass qualitative bzw. quantitative Abstrichen vom Zielerreichungsgrad des eigentlichen Vorhabens ab einem gewissen Punkt umschlagen können, so dass es sich dann um ein anderes Vorhaben handele. Hier handle es sich bei allen vom Kläger vorgeschlagenen Alternativen indes um ein anderes Projekt, so dass das Urteil des OVG insoweit nicht zu beanstanden war.

Im Bereich des Artenschutzes schließlich betonte der Senat noch einmal – in Anschluss an die Bad Oeynhausen-Entscheidung des 9. Senats -, dass hier nicht dieselben Regeln gelten wie beim strengeren Habitatschutz: “Die zuständige Behörde muss sich gerade nicht Gewissheit darüber verschaffen, dass Beeinträchtigungen nicht auftreten werden.” Grund für Beanstandungen gab es insoweit also nicht.

Ingesamt handelt es sich um ein gut begründetes Urteil, das sich sicherlich in die “Klassiker” einreihen wird und wieder für ein Stück mehr Rechtssicherheit sorgt.

Weitere Informationen:

Entscheidungsbesprechung:

  • Stephan Gatz, jurisPR-BVerwG 24/2009

Fundstelle (Leitsätze und Gründe):

  • NuR 2009, S. 789 ff.

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