BVerwG, Urteil v. 14.04.2010 – 9 A 5.08 – [A 44 Hessisch Lichtenau VKE 32]

Mit Spannung war die Absetzung der Urteilsgründe erwartet worden. Und in der Tat hat das Urteil des BVerwG zur BAB A 44 VKE 32 noch einiges an Klarheiten gebracht.

Die erste Klarstellung betraf die Reichweite des Gebietsschutzes. Hier hat das BVerwG einer vor allem von fachlicher Seite zunehmenden Tendenz hin zu einer rein wirkungsbezogenen Betrachtungsweise einen Riegel vorgeschoben und konstatiert, dass der Gebietsschutz auch Gebietsschutz bleiben müsse. Ausgehend von Art. 1 lit. j FFH-RL sei es ausgeschlossen, den Gebietsschutz mit Blick auf Folgewirkungen von Beeinträchtigungen gebietsexterner Flächen über die Gebietsgrenzen hinweg auszudehnen. Anderes gelte nur, soweit gerade die Natura-2000-relevanten Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen Gebieten oder Gebietsteilen in Rede stehen. Wirkt sich eine Beeinträchtigung gebietsexterner Flächen signifikant negativ auf die Erhaltungsziele im Schutzgebiet aus, so sei dies allenfalls ein Hinweis auf die möglicherweise falsche Gebietsabgrenzung.

Diesen Fingerzeig nahm das BVerwG sodann zum Anlass, um seine Rechtsprechung hinsichtlich der Darlegungsanforderungen zur Behauptung faktischer Vogelschutzgebiete auch auf potenzielle FFH-Gebiete zu übertragen. Angesichts des zwischenzeitlichen Abschlusses von Phase 2 der Gebietsauswahl seien an die Behauptung, es läge ein potenzielles FFH-Gebiet vor, erhöhte Darlegungsanforderungen zu stellen. Was im Übrigen den Schutz potenzieller FFH-Gebiete angeht, so sei die Rechtsprechung des EuGH zu den bereits gemeldeten potenziellen FFH-Gebieten (Urt. v. 14.09.2006 – C-244/05 -) auch auf die noch nicht gemeldeten potenziellen FFH-Gebiete anzuwenden: Verboten ist hier nur eine Beeinträchtigung, die dem Gebiet die Meldewürdigkeit nehmen würde.

Erhellend ist auch die erfolgte Richtigstellung, dass eine saldierende Betrachtung in der FFH-Verträglichkeitsprüfung nur dann in Betracht kommt, wenn die Be- und Entlastungsflächen im Wesentlichen gleichartige Habitatelemente beherbergen, in räumlichen Zusammenhang zueinander stehen und auf demselben Einwirkungspfad be- bzw. entlastet werden.

Es folgen breite Ausführungen zur Problematik des vorhabenbedingten Stickstoffeintrags in Böden nährstoffarmer Lebensraumtypen. Dabei bestätigte das BVerwG die Tragfähigkeit der Heranziehung der sog. Critical Loads, räumte aber ein, dass eine Zusatzbelastung von bis zu 3% der vorhandenen Hintergrundbelastung regelmäßig keine signifikanten Auswirkungen zeitige und daher eine naturwissenschaftlich begründbare Bagatelle darstelle.

Mit Blick auf das besondere Artenschutzrecht bestätigte das BVerwG – nachdem es diese Frage zwischzeitlich mehrfach offen gelassen hatte – wieder, dass auch vorhabenbedingte Trennwirkungen den Störungstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG verwirklichen können. Keine Störung sei hingegen die bloße Beeinträchtigung von Jagdhabitaten (“erscheint zweifelhaft”, formuliert das BVerwG vorsichtig), weil es insoweit an einem zwanghaften Einwirken auf das natürliche Verhalten der betreffenden Tiere fehle. Außerdem bejahte das BVerwG die Verwirklichung des Fangverbots, wenn Exemplare besonders geschützter Arten “zwangsumgesiedelt” werden, sieht dies aber bei Verbringung in ein geeignetes Habitat als Maßnahme mit positiven Auswirkungen für die Umwelt nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 BNatSchG gerechtfertigt an.

Insgesamt handelt es sich um ein sehr lesenswertes, ausgewogen erscheinendes Urteil. Das BVerwG hat sich damit insbesondere zu weiteren Aspekten des Gebietsschutzes geäußert, so dass zumindest insoweit langsam die wesentlichen Fragen als geklärt angesehen werden können und die Planungspraxis weiß, worauf sie sich einstellen muss. Freilich ist gerade das Konzept der Critical Loads nicht unumstritten, doch sind hier in erster Linie die Fachwissenschaften gefragt (ausführlich zu dieser Problematik Balla et al., NuR 2010, 616 ff.).

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