BVerwG, Urteil v. 14.7.2011 – 9 A 12.10 – [Ortsumgehung Freiberg]

Auf die Klage des BUND hin hat das BVerwG mit Urteil vom 14.7.2011 den Planfeststellungsbeschluss für den Bau der Ortsumgehung Freiberg (B 101/B 173) für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt. Den Ausschlag hierfür haben sowohl habitat- als auch artenschutzrechtliche Umstände gegeben.

Neben zahlreichen Fragen zum Umfang der Klagerechte von Naturschutzvereinigungen gerade auch mit Blick auf die Präklusionsvorschriften des straßenrechtlichen Fachplanungsrechts war das BVerwG mit mehreren naturschutzrechtlichen Fragen konfrontiert:

Zunächst betonte das Gericht nochmals seinen strengen Ansatz mit Blick auf die an die FFH-Verträglichkeitsprüfung gestellten Anforderungen, wie es sie in seiner Westumfahrung-Halle-Entscheidung herausgearbeitet hat (Rdnr. 59). Ausgehend hiervon rügt das BVerwG die vom Vorhabenträger vorgenommene und von der Planfeststellungsbehörde gebilligte Abgrenzung bzw. Bestimmung des LRT 3150. Der der Verwaltung insoweit eingeräumte fachliche Beurteilungsspielraum sei hier überschritten worden (Rdnr. 60-66). Dieser Fehler habe nicht nur Auswirkungen auf die äußere Planungsgrenze des § 34 BNatSchG, sondern auch auf die fachplanerische Abwägung nach § 17 S. 2 FStrG (Rdnr. 67), was aber im Wege des ergänzenden Verfahrens in beiderlei Hinsicht heilbar sei (Rdnr. 68).

Mit Blick auf die in § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL vorgesehene Summationsprüfung erläuterte das BVerwG sodann, dass hierin nur solche anderen Pläne und Projekte einzubeziehen seien, deren Auswirkungsausmaß bereits hinreichend absehbar sei. Dies sei jedoch grundsätzlich erst dann der Fall, wenn die hierfür erforderliche Zulassung erteilt ist (Rdnr. 81). Vor dem Hintergrund seiner Westumfahrung-Halle-Rechtsprechung kritisiert das BVerwG fernerhin die von der Planfeststellungsbehörde gebrauchte Formulierung der erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele als “unbedachte Wortwahl”. Vielmehr sei bereits jede Beeinträchtigung eines Erhaltungsziels erheblich i.S.d. § 34 Abs. 2 BNatSchG (Rdnr. 84 f.).

Dies irritiert. Hat doch das BVerwG selbst (und zwar derselbe Senat) inzwischen – wie ich meine: zutreffend – festgehalten: “Unabhängig davon steht, wie der Senat mit Urteil vom 12. März 2008 (a.a.O. Rn. 124) entschieden hat, auch die festgestellte Zielunverträglichkeit unter einem Bagatellvorbehalt, der seine Rechtfertigung im gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EG) findet. Wenngleich der Senat diesen Vorbehalt in der zitierten Entscheidung in erster Linie auf direkte Flächenverluste bezogen hat, handelt es sich doch um einen allgemeinen Gedanken, der auf sonstige Beeinträchtigungen in gleicher Weise Anwendung finden kann [...]” (Beschluss v. 10.11.2009 – 9 B 28.09 -, Rdnr. 8). Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus sinnvoll, von einer erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele zu sprechen, zumal der Begriff der Erheblichkeit auch sonst im Naturschutzrecht die Bagatellschwelle kennzeichnet (siehe nur Lau, Der Naturschutz in der Bauleitplanung, Rdnr. 248).

Im Folgenden hatte das BVerwG noch über diverse artenschutzrechtliche Probleme zu befinden, zunächst darüber, inwieweit Kollisionsschutzwände ausreichend zuverlässig als Querungshilfen für Fledermäuse herhalten können. Das BVerwG zeigte sich skeptisch und bejahte daher die Verwirklichung des Tötungsverbotstatbestands des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG (Rdnr. 99-105). Die Flucht in die Ausnahme schnitt es dem Vorhabenträger bzw. der Planfeststellungsbehörde ebenfalls ab. Voraussetzung für eine Ausnahme sei nämlich u.a. auch das Fehlen von Alternativen und hier sei noch unklar, ob sich nicht doch effektive Vermeidungsmaßnahmen finden lassen (Rdnr. 106). Auch liege in diesem Fehler zugleich ein Verstoß gegen das Vermeidungsgebot des § 15 Abs. 1 S. 1 BNatSchG (Rdnr. 108).

An späterer Stelle waren dann nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG tatbestandliche Beeinträchtigungen von Lebensstätten der Zauneidechse Gegenstand der Entscheidung und die diesbezügliche Privilegierung des § 44 Abs. 5 S. 2 BNatSchG. Insoweit stellte das BVerwG zunächst klar, dass die Privilegierung des § 44 Abs. 5 S. 2 BNatSchG überhaupt nur eingreift, wenn das in Rede stehende Vorhaben insgesamt in Einklang mit der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nach § 15 BNatSchG steht (Rdnr. 117-118). Das aber war hier schon wegen des o.g. Verstoßes gegen das Vermeidungsgebot des § 15 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nicht der Fall.  Darüber hinaus teilte das BVerwG die in der Literatur (siehe z.B. Lau, in: Frenz/Müggenborg, BKom BNatSchG, § 44 Rdrn. 41, m.w.N.) geäußerten unionsrechtlichen Bedenken an der Privilegierung auch von Tötungen im Rahmen des § 44 Abs. 5 BNatSchG (Rdnr. 119).

Offen gelassen hat das BVerwG, ob das als CEF-Maßnahme vorgesehene Einsammeln und Umsiedeln von Zauneidechsen einen Fang i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG darstellt. Es äußerte sich aber dennoch zumindest insoweit zu der Frage – insbesondere, was die zeitliche Dimension des unter Verbot gestellten Fangs betrifft -, als das Gericht erklärte, dass das Nähere – wenn die Frage entscheidungserheblich wäre – in einem Vorlageverfahren zum EuGH zu klären wäre (Rdnr. 130).

Schließlich erhellte das BVerwG, dass die Entscheidung über die Ausnahmegewährung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG schon wegen der darin enthaltenen Abwägungselemente nicht für jede Beeinträchtigung separat getroffen werden könne, sondern artspezifisch, also für alle Beeinträchtigungen einer Art insgesamt erfolgen müsse (Rdnr. 146). Und das BVerwG betonte nochmals, dass die Ausnahmevoraussetzung der Nichtverschlechterung des Erhaltungszustands der Populationen der betreffenden Art nach § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG nicht nur auf den Erhaltungszustand des vom Vorhaben betroffenen lokalen Vorkommens ankommt (Rdnr. 151).

Es handelt sich um eine insgesamt überzeugende Entscheidung, die weiter Licht in den noch immer nicht gänzlich ausgeleuchteten Dschungel des europäischen Naturschutzrechts gebracht hat. Im Übrigen darf man gespannt sein, ob es den sächsischen Behörden beim zweiten Anlauf gelingen wird, zu einer gerichtlich belastbaren Planung zu gelangen und alle “Hausaufgaben” zu erledigen.

Weitere Informationen:

  • zu den Hintergründen des Vorhabens und den Einwänden aus Sicht des Naturschutzes hier

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Ein Kommentar zu “BVerwG, Urteil v. 14.7.2011 – 9 A 12.10 – [Ortsumgehung Freiberg]”

  1. A. Rietzler sagt:

    Vgl. auch die Urteilsanmerkung von M. Gellermann, NuR 2012, 34.

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