BVerwGE, Beschluss v. 14.04.2011 – 4 B 77.09 – [Flughafen Frankfurt/Main]

Mit Urteil vom 21.08.2009 bestätigte der VGH Kassel den Planfeststellungsbeschluss des Hessischen Wirtschaftsministeriums zur Erweiterung des Flughafens Frankfurt/Main. Die Revision wurde seinerzeit nicht zugelassen. Die Revisionsnichtzulassungsbeschwerde des BUND hat das BVerwG nun mit Beschluss vom 14.04.2011 zurückgewiesen.

Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hielt der BUND u.a. die Frage, ob Art. 6 Abs. 4 FFH-RL verlangt, dass zum Zeitpunkt der Genehmigung erhebliche Beeinträchtigungen eines FFH-Gebiets die hierzu behördlicherseits angeordneten Kohärenzmaßnahmen auf FFH-Flächen wirksam werden, die zuvor in die Gebietsliste der EU-Kommission aufgenommen wurden und mithin gemäß Art. 4 Abs. 5 FFH-RL dem Schutzregime des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL unterfallen. Das BVerwG hielt diese Frage indes für geklärt: Die Ausgestaltung der Kohärenzmaßnahmen habe sich funktionsbezogen an der jeweiligen erheblichen Beeinträchtigung auszurichten, derentwegen sie ergriffen werden. Das sei auch der Maßstab, wenn die Kohärenz des Netzes Natura 2000 – wie hier – durch Integration neuer Flächen in das Schutzgebietsnetz gesichert werden soll. Es sei daher unschädlich, wenn die betreffenden Flächen im Zeitpunkt der Genehmigung noch nicht in die Gebietsliste der EU-Kommission aufgenommen bzw. diese noch nicht einmal der Kommission nachgemeldet worden sind. Im Übrigen war hier ohnehin angeordnet, dass für den Fall, dass die EU-Kommission die bezeichneten Gebiete nicht oder nicht vollständig in die Liste nach Art. 4 II FFH-RL aufnehmen sollte, die Planfeststellungsbehörde der Vorhabenträgerin ergänzende Kohärenzmaßnahmen auferlegen werde.

Des Weiteren hielt der BUND für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig, ob die Auffassung des VGH Kassel zutreffend sei, dass das strenge Schutzregime des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL für prioritäre Lebensraumtypen an die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL anknüpfe und deshalb nur für solche prioritären Lebensraumtypen gelten könne, für die eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen sei. Auch diese Frage lasse sich – so das BVerwG – ohne Weiteres im Sinne des VGH Kassel beantworten, Art. 6 Abs. 4 FFH-RL knüpfe nach Wortlaut uns Systematik nicht an jedwede Gebietsbeeinträchtigung, sondern an „negative Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung“ an. Dies gelte auch bei Gebieten mit prioritären Lebensraumtypen. Auch derartige Gebiete haben die Mitgliedstaaten nicht ausnahmslos zu melden. Dementsprechend müssten sie auch nicht den Schutz jedes im Gebiet vorhandenen prioritären Lebensraumtyps unabhängig von seiner konkreten Schutzwürdigkeit als Erhaltungsziel festlegen.

Fernerhin stellte der BUND die Frage nach Umfang und Reichweite des Nachweises für die Feststellung und die sich daran anschließende Gewichtung der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses im Sinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL. Hier verwies das BVerwG – der 4. Senat – auf seine Rechtsprechung zum Flughafen Münster-Osnabrück: Mit welchem Gewicht Prognoseunsicherheiten zu Buche schlagen, beurteile sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalls. Reichen die Prognoseunsicherheiten weiter als in anderen Fällen, bedürfe es der Darlegung warum dem Vorhaben gleichwohl ein besonderer Stellenwert zukommt. Es gelte die Faustregel: Je weiter die Unsicherheiten reichen, desto geringer wiegt das öffentliche Interesse an dem Vorhaben und desto konkreter und verbindlicher müssen die das Vorhaben stützenden Zielvorgaben sein, wenn ihm trotz des unsicheren Bedarfs ein hohes Gewicht beigemessen werden soll.

Sodann sollte nach dem Ansinnen des BUND rechtsgrundsätzlich geklärt werden, ob nach dem Zeitpunkt der Feststellung der EU-Kommission, dass ein ausreichendes Netz von Vogelschutzgebieten in einem Mitgliedstaat ausgewiesen worden ist, auch weiterhin die Verpflichtung nach Art. 4 Abs. 1 S. 4 VRL besteht, flächen- und zahlenmäßig geeignete Gebiete auszuweisen. Auch dies sah das BVerwG nicht als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig an und verwies insofern auf seine ständige Rechtsprechung zur Ausweisungspflicht von Vogelschutzgebieten. Danach besteht die Ausweisungspflicht trotz des fortgeschrittenen Melde- und Gebietsausweisungsstandes grundsätzlich fort. So könnten insbesondere neuere wissenschaftliche Erkenntnisse dazu führen, dass weitere Gebiete ggf. trotz des bereits erreichten Verfahrensstandes unter Schutz zu stellen sind, wenn sich ihre herausragende Eignung erst jetzt herausstellt.

Hieran anschließend warf der BUND die Frage auf, ob der Schutzgebietstyp der Landschaftsschutzverordnung geeignet ist, hinsichtlich eines ausgewählten Vogelschutzgebietes den Regimewechsel gemäß Art. 7 FFH-RL herbeizuführen. Auch insoweit verneinte das BVerwG die rechtsgrundsätzliche Klärungsbedürftigkeit. Die Frage lasse sich ohne Weiteres dahingehend beantworten, dass der Wechsel des Schutzregimes gemäß Art. 7 FFH-RL von Art. 4 Abs. 1 S. 1 VRL zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unabhängig davon eintrete, ob eine Schutzgebietsausweisung die materiell-rechtlichen Anforderungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL oder nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL an die zu treffenden Schutzmaßnahmen erfüllt (dazu bereits ausführlich Füßer, NVwZ 2005, 144 ff.).

Schließlich hielt der BUND zahlreiche Fragen zum besonderen Artenschutzrecht für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig. So fragte er, in welcher Weise, Art und Umfang eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung umschrieben werden müsse, um hinreichend bestimmt festzulegen, inwieweit Verbotstatbestände verwirklicht werden dürfen. Das BVerwG verwies insoweit darauf, dass dies von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhänge und sich daher keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung zuführen lasse. Gleiches gelte hinsichtlich der weiteren Frage des BUND nach der zu fordernden Aktualität naturschutzfachlicher Bestandsaufnahmen.

Hinsichtlich der vom BUND zur Alternativenprüfung nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL aufgeführten Fragen beschränkte sich das BVerwG sodann auf einen Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung: Ein Vorhabenträger brauche sich nicht auf eine Alternativlösung verweisen zu lassen, wenn sich die maßgeblichen Schutzvorschriften am Alternativstandort als ebenso wirksame Zulassungssperre erweisen wie an dem von ihm gewählten Standort. Der BUND hatte sich insoweit vor allem gegen die Ansicht des VGH Kassel gewandt, dass es nicht zu beanstanden sei, wenn mit Blick auf artenschutzrechtliche Betroffenheiten solche Alternativen von vorn herein ausgeschieden werden, die mit einer Beeinträchtigung von FFH-Gebieten einhergehen. Im Übrigen musste sich das BVerwG hierzu schon deshalb nicht weiter äußern, weil es den diesbezüglichen Fragen an der Entscheidungserheblichkeit fehlte.

Soweit der BUND ebenfalls mit Blick auf Art. 16 Abs. 1 FFH-RL geklärt wissen wollte, dass vor Erteilung einer Ausnahmegenehmigung das qualitative und quantitative Ausmaß der Verwirklichung von Verbotstatbeständen im Hinblick auf die Anzahl der betroffenen Arten und Individuen der Arten des Anhangs IV der FFH-RL sowie der europäischen Vogelarten ermittelt werden muss, entgegnete dem das BVerwG, dass sich diese Frage ebenfalls ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten lasse: Das Gewicht, mit dem das Artenschutzinteresse in die Abwägung einzustellen ist, hänge auch vom Ausmaß der vorhabenbedingten Beeinträchtigungen ab. Erforderlich sei eine Beurteilung dieser Beeinträchtigung in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Ob der VGH Kassel diese Grundsätze falsch angewendet habe, sei jedoch nicht Gegenstand des Revisionsnichtzulassungsverfahrens.

Mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen wurde auch die Frage, ob es bei der in Art. 16 Abs. 1 FFH-RL formulierten Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, um den Erhaltungszustand der Art oder aber um den Erhaltungszustand der einzelnen Populationen geht. In der gleichen Weise äußerte sich das BVerwG zur fernerhin gestellten Frage, ob die Regelung des § 42 Abs. 5 S. 2 BNatSchG 2007 insbesondere mit Blick auf die Privilegierung auch von Verstößen gegen das Fang-, Verletzungs- und Tötungsverbot des § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG 2007 mit Europarecht vereinbar ist.

Insgesamt brachte der Beschluss des BVerwG vom 14.04.2011 also inhaltlich nicht viel Neues. Interessant ist jedoch, dass und hinsichtlich welcher Punkte sich das BVerwG zu einzelnen Aspekten trotz fehlender Entscheidungserheblichkeit auch inhaltlich geäußert hat, zu anderen hingegen nicht. Des Rätsels Lösung darf mit Spannung erwartet werden.

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