EuGH, Urteil v. 23.04.2009 – Rs. C-362/06 P – [Sahlstedt u.a. ./. Kommission]

Das lang erwartete Urteil des EuGH zum Rechtsschutz Privater gegen die Verabschiedung der Kommissionsliste von FFH-Gebieten ist da. Das kurze Urteil fällt jedoch ambivalent aus. Der Entscheidung des EuGH ging ein zum Teil kaum nachvollziehbarer Beschluss des EuG voraus (Rs. T-150/05), mit dem die Nichtigkeitsklage des Herrn Sahlstedt u.a. als unzulässig abgewiesen wurde. Die Kläger wandten sich gegen die Verabschiedung der Liste der Kommission von FFH-Gebieten in der borealen Region. Sie waren allesamt Eigentümer von Flächen in ausgewählten Gebieten. Da sich die Verabschiedung der Gebietsliste freilich nicht direkt an die Kläger wandte, kam es nach der Diktion des EuGH zu Art. 230 EG darauf an, ob die Kläger von diesem Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffen sind oder ob sie bei Verneinung des Klagerechts keinerlei Rechtsschutzmöglichkeiten mehr hätten. Das EuG hatte die unmittelbare Betroffenheit verneint und im Übrigen auf den Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten verwiesen.

Generalanwalt Bot trat dem in seinen Schlussanträgen v. 23.10.2008 entschieden entgegen und begründete ausführlich, dass die Verabschiedung der Gebietsliste sehr wohl unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Grundeigentümer zeitige. Insbesondere entfalte sie Rechtswirkungen, die von den Mitgliedstaaten nicht wieder rückgängig gemacht werden können und direkt auf die betroffenen Grundstückseigentümer durchschlagen. Im Übrigen stehe es bei einem auch gemeinschaftsrechtlich geschütztem Grundrecht wie dem Eigentumsrecht außer Frage, dass die Verletzung dieses Rechts Gegenstand einer effektiven gerichtlichen Überprüfung auch auf Gemeinschaftsebene sein können muss.

Der EuGH folgte den Schlussanträgen jedoch nicht, sondern vollführte eine geschickte Seitwärtsbewegung: Die mit Spannung erwartete Äußerung zur unmittelbaren Wirkung der Gebietslistung blieb aus. Der Gerichtshof sah sich nicht genötigt, hierzu Stellung zu beziehen, da die Kläger jedenfalls nicht individuell betroffen seien. Allein der Umstand, Eigentümer betroffener Flächen zu sein, begründe keine individuelle Betroffenheit. Da die Entscheidung nicht in Bezug auf die besondere Situation der Grundeigentümer erlassen worden ist, könne sie nicht – was aber erforderlich wäre – als ein Bündel individueller, an jeden Grundeigentümer gerichteter Entscheidungen angesehen werden. Es kommt laut EuGH für die individuelle Betroffenheit also auf eine entsprechende Intention der den Rechtsakt erlassenden europäischen Behörde an (aus deutscher Sicht: klassischer Eingriffsbegriff lässt grüßen).

Dies ist unter Arbeitserleichterungsgesichtspunkten und zur Vermeidung des Ausuferns der Nichtigkeitsklage nachvollziehbar. Die Entscheidung lässt damit zwar die Frage nach der unmittelbaren Wirkung der Gebietslistung durch die Kommission im Dunkeln, trägt andererseits aber dazu bei, die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Nichtigkeitsklage weiter zu konturieren.

Was schließlich das klägerseits vorgebrachte Argument der Rechtsschutzvereitelung angeht, so hat sich der EuGH weitgehend dem EuG angeschlossen und auf die nationalen Gerichte verwiesen, die dann über Art. 10 EG verpflichtet wären, eine nur auf Gemeinschaftsebene zu klärende Frage im Wege der Vorabentscheidung beantworten zu lassen. Gegen diese Sichtweise ist letztlich ebenfalls nichts einzuwenden; erinnert sie doch an die mit guten Gründen versehene strenge Subsidiaritätsrechtsprechung des BVerfG, wonach selbst bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze erst sämtliche Fragen fachgerichtlich abzuarbeiten sind und die Anrufung des BVerfG gleichsam die ultima ratio bildet.

Weitere Informationen:

Fundstellen (Leitsätze und Gründe):

  • Slg. 2009, I 0000
  • NuR 2009, S. 405 ff. 
  • NVwZ 2009, S. 902 ff. 
  • JZ 2009, S. 1065 ff.

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