Gassner, Erich (NuR 2008, S. 613 ff.)
Artenschutzrechtliche Differenzierungen

Mit drei ausgewählten Fragestellungen aus der aktuellen Debatte des europäischen Artenschutzrechtes meldet sich Gassner mit dem oben bezeichneten Beitrag zu Wort: die Vereinbarkeit des § 42 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG mit Art. 12 Abs. 1 lit. b) FFH-Richtlinie, dem Problem der Tierkollissionen und und der Erweiterung der Ausnahmegründe des Art. 9 Abs. 1 Vogelschutzrichtlinie.

Zur ersten Frage bejaht Gassner die Vereinbarkeit des Zugriffsverbot des § 42 Abs. 1 Nr. 2 BNatschG mit den europarechtlichen Vorgaben und stellt hierbei darauf ab, dass die Einschränkung des Störungsverbotes auf den Erhaltungszustand der lokalen Polulation einer Art eine nützliche weil praktisch brauchbare Maßstabsebene darstellt. Ohne dies in Frage zu stellen, muss freilich bezweifelt werden, ob sich der EuGH von solchen Praktikabilitätserwägungen überzeugen lässt.

Bei seiner Darstellung verkennt Gassner allerdings, dass die Einschränkung auf den Erhaltungszustand der lokalen Population europarechtlich gar nicht gefordert ist und damit eine – zulässige – Verschärfung der europarechtlichen Vorgaben darstellt. Dies ergibt sich daraus, dass Art. 5 lit. d) und Art. 12 Abs. 1 lit. b) zusammen gelesen werden müssen. Danach ergibt sich eine Störung nur dann, wenn die Zielsetzung der Richtlinie, nämlich die Erhaltung des Bestandes der jeweiligen Art, gefährdet ist. Allerdings sieht weder die FFH- noch die Vogelschutzrichtlinie eine zeitliche Einschränkung der Störung vor; insoweit ist die Regelung des Störungsverbotes europarechtlich bedenklich (Steeck/Lau, NuR 2008, S. 386 ff.).

Praktikabilitätskriterien führt Gassner auch an, wenn er eine Einschränkung des Tatbestandes des § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bei Tierkollissionen auf das über das normale – erlaubte – Risiko hinausgehende Maß fordert. Danach soll der Straßenbau als öffentlich-rechtliche Aufgabe und der durch Prüfung und Regulierung konkretisierte Betrieb gesetzlich nicht zu beanstanden sei. Diese Art allgemein gehaltener Ausführungen haben jahrzehntelang die Debatten im Naturschutzrecht bestimmt, führen aber inzwischen nicht mehr weiter, zumal für die Ansicht von Gassner weder im nationalen noch europäischen Recht Anhaltspunkte zu finden sind. Anknüpfungspunkt für solche Riskoüberlegungen kann allenfalls der Absichtsbegriff sein (vgl. hierzu BayVGH, Urt. v. 28.01.2008 – 8 A 04.40023 und Sobotta, NuR 2007, S. 642 ff.).

Unscharf bleiben auch die Ausführungen zu § 43 Abs. 8 BNatSchG. Nur ganz kurz hierzu: Unstreitig ist, dass Art. 9 Vogelschutzrichtlinie in § 43 Abs. 8 BNatSchG nicht explizit aufgeführt ist. Dies bereitet deswegen Probleme, weil in den Ausnahmegründen des Art. 9 Vogelschutzrichtlinie die in Art. 16 FFH-Richtlinie aufgeführten wirtschaftlichen und sozialen Gründe fehlen. Aus verschiedenen Gründen und mit unterschiedlicher Begründung geht die weit überwiegende Meinung freilich davon aus, dass die Ausnahmegründe der beiden Vorschriften gleich laufen. Insoweit ist der Verweis auf nur Art. 16 FFH-Richtlinie dem Grunde nach unproblematisch. Eine gesetzgeberische Intension, den Art. 9 Vogelschutzrichtlinie durch Art. 16 FFH-Richtlinie zu ersetzen ist damit nicht verbunden.

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