Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 20.01.2011 – C-383/09 – [Kommission ./. Frankreich]

In der Rechtssache C-383/09 wirft die Kommission der Französischen Republik vor, nicht ausreichend für die Verbesserung des Erhaltungszustands des Feldhamsters eingetreten zu sein und dadurch gegen Art. 12 FFH-RL verstoßen zu haben. Die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zeigen wieder einmal, dass das europäische Naturschutzrecht immer für eine Überraschung gut ist.

Das Verfahren bietet der Generalanwältin zunächst Anlass, den Begriff der Fortpflanzungs- und Ruhestätte in Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL zu konkretisieren. Ihre Überlegungen beginnen mit einem exzessiven Verständnis in zeitlicher Hinsicht. So soll die Fortpflanzungszeit nicht nur die Aufzucht der Jungen bis zu deren Selbstständigkeit umfassen, sondern auch die Zeit bis hin zur Fortpflanzungsfähigkeit der Jungtiere. In räumlicher Hinsicht folgt die Generalanwältin erwartungsgemäß der Ansicht der Kommission und differenziert in Arten mit einem kleinen Aktionsradius (hier ein weiteres Begriffsverständnis) und Arten mit größerem Aktionsradius (hier ein engeres Begriffsverständnis). Insgesamt lädt die Generalanwältin das Begriffspaar der Fortpflanzungs- und Ruhestätten funktional auf und fasst hierunter auch Nahrungshabitate, sofern sie unabdingbar für die Funktionsfähigkeit der eigentlichen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten sind. Dies ist sicherlich zutreffend, will man den Lebensstättenschutz nicht zur bloßen Farce verkommen lassen und entspricht im Übrigen einer auch in Deutschland verbreiteten Ansicht (siehe nur Lau, in: Frenz/Müggenborg, Berliner Komm. zum BNatSchG, Berlin 2011, § 44 Rn. 17; de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, Berlin 2010, Rn. 24). Sprengkraft hat jedoch die von der Generalanwältin anschließend geäußerte Auffassung, dass die Abgrenzung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten auch in Abhängigkeit zum Erhaltungszustand der jeweiligen Art stehe.

Sodann nähert sich die Generalanwältin der Annahme des EuGH, dass Art. 12 Abs. 1 FFH-RL sich nicht nur auf Verbote im eigentlichen Sinne beschränke, sondern auch aktive Maßnahmen einfordere. Die Generalanwältin liest eine solche Pflicht zur Ergreifung aktiver Maßnahmen auch in das spezielle Verbot der Beeinträchtigung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten nach Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL hinein und verlässt dabei den defensiven Charakter als Wesensmerkmal eines Verbots. Sie bedient sich insoweit des Tricks, dass Verbote ja so umfassend ausgestaltet werden könnten, dass sie praktisch Geboten gleichkommen, nämlich wenn sie nur noch das konkret gewünschte Verhalten zuließen. Die Generalanwältin kehrt dann aber wenigstens insoweit wieder zum eigentlichen Verbotstatbestand zurück, als sämtliche – ihrer Ansicht nach – von Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL geforderten Maßnahmen zumindest einen konkreten Bezug zu den Fortpflanzungs- oder Ruhestätten aufweisen müssen. Im konkreten Fall geht dies dann aber doch so weit, dass die Generalanwältin der Französischen Republik – gestützt auf Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL – abverlangt, dass – so wörtlich – „bei zu kleinen Populationen die Lebensräume in der Umgebung von Hamsterbauen so bewirtschaftet werden müssen, dass die Hamsterbestände sich ausreichend erholen“.

Dies mag insbesondere den deutschen Juristen zum Kopfschütteln veranlassen, ist aber letztlich insoweit nachvollziehbar, als die Generalanwältin – den Richtliniencharakter der FFH-Richtlinie ernst nehmend – sehr vom Ziel der Richtlinie her argumentiert. Dogmatisch überzeugender wäre es gleichwohl gewesen, die eigentlichen Verbotstatbestände des Art. 12 FFH-RL vom Erfordernis eines aktiven Artenschutzes strikt zu trennen. So hat denn auch bislang der EuGH die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Ergreifung kohärenter, koordinierter und vorbeugender Maßnahmen zum Schutz der Arten nach Anhang IV lit. a FFH-RL offenbar nicht aus den Verbotstatbeständen an sich gewonnen, sondern aus Art. 12 Abs. 1 Halbs. 1 FFH-RL, der den Mitgliedstaaten die Errichtung eines strengen Schutzsystems auferlegt (vgl. EuGH, Urt. v. 11.1.2007 – C-183/05 –, Rn. 30, Kommission/Irland i.V.m. GA Léger, Schlussanträge v. 21.9.2006 – C-183/05 -, Rn. 24). Bleibt zu hoffen, dass der EuGH dem auch weiterhin treu bleibt und nicht der „Mixtur“ von Generalanwältin Kokott folgt. Im deutschen Umsetzungsrecht ist diese Trennung im Übrigen ebenfalls nachvollzogen worden: Während die Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG auch Verbote bleiben dürfen, findet sich die Pflicht zur Ergreifung aktiver Artenschutzmaßnahmen in § 38 Abs. 2 BNatSchG.

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