Generalanwältin Sharpston, Schlussanträge v. 09.07.2009 – Rs. C-226/08 – [Unterems]

Zum Urteil des EuGH geht es hier.

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Die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpstone zur Vorlage des VG Oldenburg an den EuGH sind gestellt. In der Sache ging es um Details der Auswahl von FFH-Gbieten: Dürfen im Rahmen der mitgliedstaatlichen Einvernehmenserteilung gemäß Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL (Phase 2 der Gebietsauswahl) auch außernaturschutzfachliche Erwägungen eine Rolle spielen? Des Weiteren war nach der FFH-Verträglichkeitsprüfungspflichtigkeit der Unterhaltungsbaggerungen an der Ems gefragt, die per Planfeststellungebeschluss bereits am 31.5.1994 genehmigt wurden. Die Schlussanträge der Generalanwältin fallen einseitig naturschutzfreundlich aus.

Zur ersten Problemstellung schlägt die Generalanwältin vor, die Vorlagefrage dahingehend zu beantworten, dass auch in Phase 2 der Gebietsauswahl ausschließlich naturschutzfachliche Kriterien Berücksichtigung finden dürfen. Sie begründet dies zum einen mit dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 FFH-RL, der auf die in Anhang III FFH-RL festgelegten Kriterien verweist, die ausschließlich naturschutzfachlicher Natur seien. Zum zweiten wäre ein Einbeziehen auch außernaturschutzfachlicher Gesichtspunkte bei der Auswahl von FFH-Gebieten mit Blick auf das Gesamtnetz Natura 2000 inkonsistent, weil die Auswahl der ebenfalls in das Netz Natura 2000 zu integrierenden Vogelschutzgebiete unstreitig allein naturschutzfachlichen Kriterien zu folgen habe. Zum dritten wird – wie gewohnt – der effet utile bemüht. Der richtige Ort für die Einbeziehung wirtschaftlicher, sozialer, kultureller etc. Aspekte sei Art. 6 Abs. 4 FFH-RL.

Wie vor dem Hintergrund, dass diese Vorschrift Ausnahmen von dem strengen Schutzsystem des Art. 6 FFH-RL nur für zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses gewährt, dem Eigentumsgrundrecht, das zunehmend auch gemeinschaftsrechtlich hochgehalten wird (siehe bspw. die Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rs. C-362/06 P, Sahlstedt ./. Kommission), ausreichend Rechnung getragen werden soll, bleibt freilich das Geheimnis der Generalanwältin. Auch stellt sie sich nicht die Frage, ob das gestufte Gebietsauswahlverfahren der FFH-Richtlinie nicht auch ein Ergebnis der Erfahrungen mit der rigerosen Vogelschutzrichtlinie sein könnte und die diesbezügliche Weiterentwicklung sich nicht nur in verfahrensrechtlichen Neuerungen erschöpfen, sondern auch materielle Effekte entfalten sollte. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Schlussanträge von einer einseitigen Sichtweise geprägt und daher weder juristisch überzeugend noch für den letztlich Normunterworfenen nachvollziehbar.

Diese Tendenz setzt sich beim Vorschlag der Beantwortung der zweiten oben erwähnten Frage (im Verfahren Vorlagefrage 5) fort: Die Unterhaltungsbaggerungen unterlägen der Pflicht zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung und zwar jede einzelne Baggerung. Damit geht die Generalanwältin sogar noch weiter als die Kommission, die lediglich eine gewisse Grundbeschaffenheit des betreffenden Gebietes über Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sichergestellt wissen wollte. Zur Begründung verweist Frau Sharpston auf den vor allem im Muschelfischerurteil des EuGH entwickelten Projektbegriff. Der Ansatz des EuGH sei, bei der Bestimmung der Tragweite von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL “das Netz weit auszuwerfen”. Merke: Die Gebietsauswahl erfolgt ohne Berücksichtigung außernaturschutzfachlicher Belange, also ohne jede Interessenabwägung (siehe oben) und gleichzeitig ist das Netz, das über die betreffenden Flächen gelegt wird, denkbar weit, so dass – um bei dem von der Generalanwältin bemühten Bild zu bleiben – auch nicht der geringste Fisch zu entwischen vermag – eine aus deutscher Sicht befremdlich anmutendes Resümee, was sicherlich auch nicht uninteressant für das BVerfG sein dürfte (vgl. erst jüngst das Lissabon-Urteil).

Sodann wird der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes angesprochen, da die Maßnahmen schließlich bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist der FFH-Richtlinie genehmigt wurden. Frau Sharpston erkennt den Grundsatz des Vertrauensschutzes an (“zählt [...] gewiss zu den tragenden Grundsätzen der Gemeinschaft”), entleert ihn aber sogleich jeder Bedeutung; denn spätestens mit Erlass der FFH-Richtlinie hätten alle Betroffenen mit entsprechenden Maßnahmen rechnen müssen. Im Ergebnis heißt das: Mit Inkrafttreten der FFH-Richtlinie hätten sämtliche Akteure der Mitgleidstaaten entweder überhaupt nicht mehr investieren dürfen oder aber voraussehen müssen, welche Gebiete die Mitgliedstaaten als schutzwürdig auswählen, von der Kommission und wiederum von den Mitgliedstaaten bestätigt werden und welche Erhaltungsziele für die jeweiligen Gebiete definiert, zumindest wie die künftigen Standarddatenbögen aussehen werden – absurd. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sogar obergerichtlich die Meldeunwürdigkeit des in Rede stehenden Gebietes “Unterems und Außenems” bestätigt wurde (vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 01.12.2004 – 7 LB 44/02 -). Die Stadt Papenburg und die MEYER WERFT hätten also schlauer sein müssen als die nationalen Gerichte, jedenfalls aber auf deren Urteilsspruch nicht vertrauen dürfen. Da hilft es auch wenig, wenn dann die Generalanwältin doch noch “Verständnis für das berechtigte Interesse der Stadt Papenburg und ihre Schiffsbauer an der Befahrbarkeit der Ems” äußert und insoweit tröstend darauf verweist, dass sich der Aufwand der FFH-Verträglichkeitsprüfung in Grenzen halten dürfte, weil – abgesehen von zwischenzeitlichen Änderungen – ehedem auf vorangegangene Prüfungen verwiesen werden könne. Bekanntlich genügt eine einmal FFH-verträglichkeitsprüfungspflichtige Vorhabenzulassung habitatschutzrechtlich nur dann den an sie gestellten Voraussetzungen, wenn “erhebliche Beeinträchtigungen” mit Sicherheit ausgeschlossen werden können. Daher verfängt dieser Hinweis nicht, es muss immer genauer hingesehen werden, was den diesbezüglichen Ausfwand – jedenfalls in der Summe – alles andere als vernachlässigenswert macht. Auch die grob über den Daumen pepeilte Mutmaßung, entsprechende Vorhaben dürften jedenfalls über Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zulässig sein, ist kaum eine Hilfe. Erstens tritt die Generalanwältin insoweit selbstredend nicht in eine entsprechende Prüfung ein, zweitens hat dies nicht die Generalanwältin zu entscheiden und der EuGH dürfte sich – selbst wenn er der Generalanwältin im Übrigen folgen sollte – kaum auf eine solche Bemerkung einlassen.

Damit wird einmal mehr nationales Recht konterkariert. Kann der Erwägung, der Projektbegriff des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bedürfe europaweit einer einheitlichen Auslegung und könne nicht von nationalstaatlichen Besonderheiten abhängig gemacht werden, noch einiges abgewonnen werden, so erscheinen die Erwägungen der Generalanwältin zum Vertrauensschutz nicht mehr nachvollziehbar. Im Übrigen wäre die Vorbelastung der Ems durch die Unterhaltungsbaggerungen ein Gesichtspunkt gewesen, der als grundsätzlich hinzunehmende Vorbelastung in die Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Gebietes hätte mit einfließen können und sollen (solche Erwägungen stellte zutreffend bspw. das OVG Lüneburg, Urteil v. 22.05.2008 – 1 KN 149/05 -, in Bezug auf die Unterschutzstellung/Gebietsabgrenzung von Vogelschutzgebieten an), zumal es im Gebiet “Unterems und Außenems” weder prioritäre Arten und Lebensraumtypen gibt, noch das Gebiet aus sonstigen Gründen sehr bedeutsam für das Netz Natura 2000 erscheint. Bleibt zu hoffen, dass sich der EuGH einer weniger einseitigen Sichtweise bedient.

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Ein Kommentar zu “Generalanwältin Sharpston, Schlussanträge v. 09.07.2009 – Rs. C-226/08 – [Unterems]”

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