Gerd Winter (NuR 2010, 601 ff.)
Alternativenprüfung und Natura 2000

In seinem Beitrag äußert sich Gerd Winter dezidiert zu dem nach wie vor umstrittenen und mit Unsicherheiten behafteten Thema der Alternativenprüfung im Rahmen der gebietsschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung. Ein zweiter Blick hat hier (zum Teil) Neues zu Tage gefördert.  

Am Beispiel der Elbvertiefung nähert sich Winter dem Wesen der Alternativenprüfung über ihre allgemeinen Erscheinungsformen, deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin zu den speziellen Anforderungen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL. Zutreffend arbeitet er die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses als logischen ersten Schritt vor der FFH-Alternativenprüfung heraus. Letztlich gehe es – die Worte von Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 27.04.2006 – Rs. C-239/04, Rdnr. 46 aufgreifend – darum, ob zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses gerade diese Alternative verlangen. Dies habe wiederum Auswirkungen auf die rechtfertigungstauglichen zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, diese dürften nicht zu konkret sein. So sei insbesondere Raum für alternative Konzepte zu lassen, weshalb etwa in der Luftverkehrsplanung zur Zielerreichung auch über die Förderung von Zubringerdiensten der Bahn u.ä. zu befinden sei.

Dies vorweggeschickt sei bei der Frage, welches der Maßstab in der FFH-Alternativenprüfung ist, zwischen Projekt, Projektziel und öffentlichem Interesse zu unterscheiden. Winter kritisiert dabei die Rechtsprechung des BVerwG, das sich hierbei am Projektziel orientiert. In Anknüpfung an die Kaskade der Abweichungsvoraussetzungen in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL sei vielmehr das öffentliche Interesse maßstabbildend, so dass in die FFH-Alternativenprüfung auch die bereits angesprochenen Konzeptalternativen Eingang finden müssen. Gewendet auf die Elbvertiefung bedeutet dies, dass auch die Leichterung von Schiffen vor Einfahrt in die Elbe, eine Optimierung der Logistik des Warentransports unter Umweltschutzgesichtspunkten sowie eine Hafenkooperation zu prüfen und abzuwägen seien. Winter erkennt freilich, dass damit der Zulassungsbehörde abverlangt wird, über an sich hochpolitische Fragen zu entscheiden. Doch sei dies eben FFH-rechtlich gefordert, solange es an einer diese konzeptionellen Fragen auch und gerade mit Blick auf Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL beantwortenden übergreifenden Planung fehlt.

Dies überzeugt jedoch nicht, vielmehr richtet die herrschende Meinung die Alternativenprüfung zu Recht an den konkret mit dem jeweiligen Plan oder Projekt verfolgten (Teil-)Zielen aus. Winter lässt nämlich offen, wer darüber zu befinden hat, welche Ziele “gut” sind und welche nicht. In einer Demokratie kann dies nur der Volkssouverän sein, also in erster Linie der Gesetzgeber. Fehlt es aber an einer gesetzlichen Bedarfsentscheidung, wie man sie etwa in der Bundesverkehrswegeplanung vorfindet, entscheiden nach derzeitiger gesetzgeberischen Grundentscheidung eben in erster Linie die Kräfte des Marktes. Dies mag man kritisieren, doch ginge es – gemessen an dem Kompetenztitel, auf den sich die FFH-Richtlinie stützt – ersichtlich zu weit, wenn jetzt die FFH-Richtlinie die im Grundgesetz wohl offen gelassene Frage nach Markt- oder Planwirtschaft entscheidet.

Besteht ein bestimmter hinreichend nachgewiesener Bedarf an einem von einer Vielzahl von Bürgern nachgefragten Gut, so liegt ein öffentliches Interesse vor. Ob dieses zur Abweichung berechtigt, ist sodann zunächst grundsätzlich im Wege der Abwägung mit den entgegenstehenden Naturschutzbelangen in einem Ja-Nein-Schema zu klären. Bei Bejahung muss dann im Rahmen der Alternativenprüfung nur noch gefragt werden, ob dieser konkrete Bedarf nicht auch anderweitig gedeckt werden kann. Der Flugwillige will dabei aber nicht auf die Bahn verwiesen werden; denn diese Entscheidung hat er für sich bereits getroffen.

Politisch angemerkt sei insoweit nur, dass sich dem druchaus berechtigten Anliegen Winters nicht durch Vorgaben von oben Rechnung tragen lassen dürfte, sondern nur durch eine Sinnesänderung des Einzelnen. Daher ist wohl eher über eine entsprechende Sinnesschärfung gerade der heranwachsenden Generation (Hänschen ändert sich, Hans nimmermehr) etwa über Maßnahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung nachzudenken als über weitere, die Balance zwischen aktuellem Umweltschutz und breitem Flurschaden bei der Akzeptanzförderung solcher Maßnahmen tendenziell verlassende “Daumenschrauben”.

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