VGH Kassel, Urteil v. 17.06.2008 – 11 C 1975/07.T – [Flughafen Kassel Calden]

Der Flughafen Kassel-Calden verstößt nicht gegen europäisches Naturschutzrecht und darf daher planmäßig ausgebaut werden, so das Urteil des VGH Kassel vom 17.06.2008. Die Entscheidung ist sehr umfangreich – es gab auch jede Menge diffizile Rechtsfragen zu klären.

Zunächst hatte der Gerichtshof über das Rechtsregime in potenziellen FFH-Gebieten zu befinden. Dabei stützte er sich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach jedenfalls in Gebieten mit prioritären Lebensraumtypen und Arten die Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL Anwendung finden und erstreckt diese Rechtsprechung sogar auf noch nicht gemeldete FFH-Gebiete. Dies ist insofern schade, als die Entscheidung des EuGH v. 14.09.2006 – RS. C-244/05 – [BUND ./. Freistaat Bayern] durchaus anderes nahe legt und auch das BVerwG schon 2005 signalisierte, an dieser Rechtsprechung wohl nicht mehr festhalten zu wollen (die Frage nämlich ausdrücklich offen lassend BVerwG, Beschluss v. 07.09.2005 – 4 B 49/05 [Wartungshalle A 380]BVerwGE 124, 201, 207 f.). Im Ergebnis spielte das freilich keine Rolle, denn der VGH Kassel folgte der Argumentation der Kläger, das Hegeholz hätte als FFH-Gebiet gemeldet und unter Schutz gestellt werden müssen, nicht.

Des Weiteren war die Frage zu klären, ob das Hegeholz – wenn schon nicht potenzielles FFH-Gebiet – so doch faktisches Vogelschutzgebiet sei, was der VGH ebenfalls verneinte.

Den meisten Raum nehmen jedoch die Ausführungen zum Artenschutz ein. Dabei stellt der Gerichtshof zunächst noch einmal die Anforderungen an die – eine Präklusion verhindernden – Einwendungen von Naturschutzverbänden im Rahmen ihrer Beteiligung am Verwaltungsverfahren klar und erteilte Pauschaleinwendungen eine Absage. Im Gefolge der wohl herrschenden Meinung in der Literatur wurde in diesem Zusammenhang zugleich der Präklusionsregelung des § 61 Abs. 3 BNatSchG die Gemeinschaftskonformität attestiert, wogegen nichts zu erinnern ist.

Geklärt werden Details zu den einzelnen Verbotstatbeständen. Hinsichtlich der Ausnahmeregelung wird insbesondere herausgestrichen, dass die restriktivere Vorschrift des Art. 9 VS-RL entsprechend weit “auszulegen” bzw. Art. 16  Abs. 1 FFH-RL analog anzuwenden sei. Der VGH Kassel ist damit mutiger als das BVerwG, das hier gemeinschaftsrechtliche Bedenken sieht (vgl. BVerwG, Urteil v. 12.03.2008 – 9 A 3/06 – [A 44 VKE 20 Hessisch Lichtenau II], NuR 2008, 633, 657, Rdnr. 262).

Besonders wertvoll, weil die Diskussion befruchtend, ist die Entscheidung aber wegen der Ausführungen zur Ausnahmemöglichkeit nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL trotz ungünstigen Erhaltungszustandes. Der Gerichtshof nimmt hier das Urteil des EuGH vom 14.06.2007 – Rs. C-342/05 – [Finnischer Wolf], NuR 2007, 477, 478 Rdnr. 29, ernst und hält eine Ausnahme in diesen Fällen für möglich, wenn sich die betreffende Maßnahme hinsichtlich des Erhaltungszustandes neutral verhält, also diesen nicht weiter verschlechtert, und “außergewöhnliche Umstände” vorliegen. Außergewöhnliche Umstände seien in Anlehnung an die Leybucht-Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil v. 28.02.1991 – Rs. C-57/89 - [Leybucht]) auch solche, die zu positiven Auswirkungen für die beeinträchtigten Arten – hier: Fledermäuse – führen. Letzteres sei hier der Fall, mit den vorgesehenen Kompensationsmaßnahmen – hier: vor allem Prozessschutzmaßnahmen – eine deutliche Aufwertung des regionalen Fledermausbestandes zu erzielen sei. Insoweit bleibt mit Spannung abzuwarten, wie sich das BVerwG im Rahmen der eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde zu dieser Sichtweise äußern. In jedem Fall bedarf das Erfordernis der “außergewöhnlichen Umstände” noch der Konkretisierung; dies schon, weil insoweit Fragen der Verhältnismäßigkeit aufgeworfen sind. Es ist nicht recht einzusehen, weshalb sich das ubiquitär geltende Artenschutzrecht – obgleich es den Erhaltungszustand nicht weiter verschlechtert (!) – sogar gegenüber solchen Vorhaben durchsetzen sollte, die nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL zulässig wären.

Weitere Informationen:

Fundstellen (Leitsätze und Gründe):

  • NuR 2008, S. 785 ff.
  • UPR 2008, S. 455 ff.
  • ZUR 2009, S. 93 ff.

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