Klaus Ferdinand Gärditz (DVBl. 2010, S. 247 ff.)
Kein Bestandsschutz für rechtmäßig genehmigte Vorhaben im europäischen Naturschutzrecht? – Zu EuGH, Urteil v. 14.1.2010 – C-226/08 (Stadt Papenburg./.Deutschland)

Mit wohlgewählten Worten kritisiert Gärditz – im Ergebnis zutreffend – das Urteil des EuGH vom 14.01.2010. Aufbau und Inhalt des Urteils folgend macht er auf zwei Konsequenzen aufmerksam:

(1) Die Fokussierung der Gebietsauswahl auf rein naturschutzfachliche Belange führt zu einer ressourcenverschwendenden Gebietsschutzpraxis, die sich auch nachteilig auf das eigentlich von der FFH-Richtlinie verfolgte Ziel des Biodiversitätsschutz auswirkt und

(2) – etwas pointiert – das Ende der Rechtssicherheit ist eingeläutet. 

Was Ersteres betrifft unterstellt Gärditz dem EuGH, mit seiner Aussage, dass die Mitgliedstaaten ihr Einvernehmen nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL nicht aus anderen als naturschutzfachlichen Gründen verweigern könnten, auch ausgeschlossen zu haben, dass (latente) Vorbelastungen bei der Gebietsauswahl mit einbezogen werden können. Dies kann dem Urteil jedoch nicht entnommen werden; sind doch bereits im Rahmen der Gebietsmeldung nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL auch der Erhaltungsgrad des betreffenden Lebensraumtyps bzw. der betreffenden Art und deren Wiederherstellungsmöglichkeit maßgeblich Gebietsauswahlkriterien (vgl. Anhang III (Phase 1) lit. A.c) und lit. B.b) FFH-RL). Mithin sind nach der Wertung der Richtlinie sowohl aktuelle Vorbelastungen als auch künftige – selbst nach Unterschutzstellung wegen Art. 6 Abs. 4 FFH-RL – zu erwartende Beeinträchtigungen ebenfalls auswahl- und damit auch einvernehmensrelevante (naturschutzfachliche) Aspekte. Im Ergebnis ist die Kritik von Gärditz gleichwohl berechtigt, da sich insbesondere zukünftigen anthropogenen Belastungen wird entgegenhalten lassen können, dass bei Abweichungen vom strengen Schutzsystem des Habitatschutzes zwingend für Kohärenzsicherung zu sorgen ist. Das insoweit fast schon auf der Zunge liegende volkswirtschaftliche Argument, dass dies aber mit Kosten verbunden ist, die bei Auswahl eines anderen Gebietes unter letztlich gleichem Nutzen für den Naturschutz womöglich (weit) geringer gewesen wären, dürfte dann kein naturschutzfachliches Kriterium mehr sein. Damit dürfte dem Naturschutz tendenziell ein Bärendienst erwiesen worden sein: Es werden Mittel gebunden, die insgesamt hätten besser eingesetzt werden können. Da hierfür der Naturschutz verantwortlich gemacht werden kann, dürfte sich der politisch durchsetzbare Wille zur Ausgabenintensivierung weiter reduzieren, was angesichts der desolaten Finanzierungssituation des Naturschutzes diesem insgesamt zu mehr Schaden als Nutzen gereichen könnte (man bedenke nur den Wegfall dringend erforderlicher Pflegemaßnahmen in den FFH-Gebieten, zumal manche geschützte Lebensraumtypen überhaupt nicht “natürlich” sind, sondern letztlich auf eine bestimmte, heute meist weniger lukrative und damit subventionsbedürftige Landbewirtschaftung zurückgehen und hiervon abhängig sind).

Zutreffend streicht Gärditz sodann heraus, dass die Ansicht des EuGH zum Stellenwert des Vertrauensschutzes letztlich jedes Vorhaben – auch das rechtmäßig (!) genehmigte – wieder zur Disposition zu stellen vermag. Nach der Europäisierung der Rücknahme (§ 48 VwVfG) folge nun die Europäisierung des Widerrufs (§ 49 VwVfG). Zutreffend entnimmt Gärditz dem Urteil des EuGH die Aussage, dass angesichts der Tatsache, dass der EuGH zahlreiche Fragen offen lässt, Rechtssicherheit letztlich – zumindest derzeit – nur noch in den Fällen besteht, in denen wegen der vorgefundenen Verhältnisse keine realistische Chance mehr gegeben ist, dass das Unionsrecht (hier: Art. 6 Abs. 2 FFH-RL) zur Wirksamkeit gelangt. Das motiviert – insbesondere unter Ausnutzung bestehender Vollzugsdefizite und der ofmals kaum gegebenen Nachweisbarkeit kausaler Zusammenhänge – zum Prinzip “verbrannte Erde auf Vorsorge”. Ob dies dem Naturschutz nützt?!

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