OVG Münster, Beschluss v. 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK – [Kohlekraftwerk Lünen]

Die Verbandsklagebefugnis der anerkannten Naturschutzverbände gilt gemeinhin als Einfallstor für Vorhabensgegner, um missliebige Genehmigungen gerichtlich anzugreifen. Nicht umsonst gab es in letzter Zeit mehr oder weniger ernst zu nehmende Forderungen, den Umweltverbänden ihre Verbandsklagebefugnis – im Einzelfall – “abzukaufen” oder aber die Verbandsklagebefugnis gesetzlich einzuschränken.

Letzteres dürfte sich jedenfalls als nahezu undurchführbar erweisen, sofern sich der BUND mit seiner Rechtsauffassung vor dem Europäischen Gerichtshof, dem das OVG Münster jetzt die Fragen zur Zulässigkeit der Verbandsklagebefugnis der Umweltverbände auch in Verfahren mit naturschutzfachlichem Bezug aber ohne rechtliche Grundlage im deutschen Verwaltungsprozessrecht vorgelegt hat, durchzusetzen vermag. Die Chancen für einen Erfolg der Umweltschützer stehen freilich nicht schlecht.

Gemäß § 42 Abs. 2 VwVfG ist die Klage gegen einen Verwaltungsakt nur zulässig, wenn der Kläger eine Verletzung seiner eigenen Rechte geltend machen kann. Naturschutzverbände können darüber hinaus auch in den in § 61 BNatSchG und den landesrechtlichen Naturschutzgesetzen genannten Fällen Klage erheben, so beispielweise bei Planfeststellungsverfahren, nicht aber in immissionsschutzrechtlichen Verfahren.  § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG sieht außerdem vor, dass Verbände unter bestimmten Umständen auch dann klagen können, wenn eine Entscheidung Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und Rechte Einzelner begründen können und für die Entscheidung von Bedeutung sind, widerspricht. Eine Verletzung von naturschutzrechtlichen Vorschriften liegt nach Auffassung des OVG Münster vor. Diese Vorschriften – so die Münsteraner Richter, seien allerdings nicht geeignet, Rechte Einzelner zu begründen, da sie der Natur und damit der Allgemeinheit zu Gute kommen. Allerdings hat das Gericht Zweifel, ob diese Einschränkung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG mit den zwingenden Vorgaben des Art. 10a der EU-Richtlinie  85/337/EWG vereinbar ist und daher diese Frage dem EuGH vorgelegt.

Sollte der BUND die Hürde der Zulässigkeit der Klage nehmen, so dürfte die Aufhebung der immissionsrechtlichen Genehmigung für den Bau des Kohlekraftwerkes Lünen durch das OVG Nordrhein-Westfalen nur noch Formsache sein, haben doch die Richter des 8. Senat bereits ausgeführt, dass der Genehmigungsbescheid insbesondere im Hinblick auf das FFH-Gebiet “Lippeaue” wohl gegen die Vorschriften des europäischen Naturschutzrechtes verstosse. Insbesondere bemängelten die Richter, dass erheblich nachteilige Auswirkungen bereits in der FFH-Vorprüfung ausgeschlossen wurden, ohne dass eine Untersuchung der Stickstoffgrundbelastung und der zu erwartenden Stickstoffgesamtdepositionen auf das FFH-Gebiet, in dem stickstoffempfindliche Lebensraumtypen vorkommen, untersucht worden sei.

Dem Vorgehen des Vorhabenträgers und der Bezirksregierung Arnsberg als Genehmigungsbehörde, die sich offensichtlich getreu dem Motto “wo kein Kläger da kein Richter” darauf verlassen haben, dass die Naturschutzverbände ihre - angesichts der laut Sachverhalt nur oberflächlichen Prüfung der FFH-Verträglichkeit - nur mangelhafte naturschutzrechtliche Prüfung des Vorhabens nicht rügen werden können, dürfte damit zunächst einmal ein Riegel vorgeschoben worden sein.

Bevor weitere Forderungen nach einer Einschränkung der Verbandsklagebefugnis gestellt werden, sollten die  Vorhabensträger und Genehmigungsbehörden erstmal die Hausaufgaben erledigen und ihren Focus auf die fachlich nicht zu beanstandende Abarbeitung der naturschutzfachlichen Anforderungen legen. Und dies unabhängig davon, ob die Verbände dagegen klagen können oder nicht. Andernfalls ist die Mahnung der Verbände, ohne ihre Kontrolle als sog. ”Anwälte der Natur” drohe das europäische Naturschutzrecht zur Farce zu werden, nicht von der Hand zu weisen. Dies werden wohl auch die Richter des EuGH in ihrer Entscheidung zum Vorabentscheidungsersuchen zu würdigen wissen.

Weitere Informationen:

Entscheidungsbesrechung:

  • Andrea Versteyl, EurUP 2009, S. 133 ff. 
  • Martin Dippel, Jörg Niggemeyer, EurUP 2009, S. 199 ff.
  • Jörg Berkemann, NordÖR 2009, S. 336 ff. 

Fundstellen (Leitsätze und Gründe):

  • DVBl 2009, S. 654 ff.
  • NuR 2009, S. 369 ff. 
  • EurUP 2009, S. 153 ff.
  • NVwZ 2009, S. 987 ff. 
  • UPR 2009, S. 276 ff. 

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