EuGH, Urteil v. 2.8.1993 – Rs. C-355/90 – [Santoña]

Erstmalig wird für faktische Vogelschutzgebietes das restriktive Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 S. 1 VS-RL für anwendbar erklärt (absolutes Verschlechterungsverbot). 

Tenor:

Das Königreich Spanien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß es entgegen Artikel 4 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten die Marismas de Santoña nicht als besonderes Schutzgebiet ausgewiesen und keine geeigneten Maßnahmen getroffen hat, um die Verschmutzung oder die Beeinträchtigung der Lebensräume in diesem Gebiet zu verhindern.

Leitsätze:

Die Artikel 3 und 4 der Richtlinie 79/409 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten verpflichten die Mitgliedstaaten, die Lebensräume als solche wegen ihres Wertes für die Umwelt zu erhalten und wiederherzustellen. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach diesen Artikeln bestehen daher, schon bevor eine Abnahme der Vogelzahl festgestellt worden ist oder bevor sich die Gefahr des Verschwindens einer geschützten Art konkretisiert hat.

Bei der Durchführung der Richtlinie 79/409 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten sind die Mitgliedstaaten nicht befugt, nach Belieben aus der Berücksichtigung anderer Interessen Gründe für eine Abweichung abzuleiten. Was die in Artikel 4 der Richtlinie aufgestellte Verpflichtung zum Erlaß besonderer Schutzmaßnahmen für bestimmte Arten angeht, sind zulässige Gründe für eine Abweichung nur solche des Gemeinwohls, die Vorrang vor den mit der Richtlinie verfolgten Umweltbelangen haben. Insbesondere können die in Artikel 2 genannten Belange, nämlich wirtschaftliche und freizeitbedingte Erfordernisse, nicht berücksichtigt werden, da diese Bestimmung keine eigenständige Abweichung von der durch die Richtlinie geschaffenen Schutzregelung darstellt.

Bei der Wahl der Gebiete, die für eine Einstufung als besondere Schutzgebiete nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/409 am besten geeignet sind, verfügen die Mitgliedstaaten über einen gewissen Ermessensspielraum, der dadurch begrenzt wird, daß die Ausweisung dieser Gebiete bestimmten in der Richtlinie festgelegten ornithologischen Kriterien gehorcht wie etwa dem Vorkommen der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Vögel und der Einstufung eines Lebensraums als Feuchtgebiet.

Dagegen steht den Mitgliedstaaten im Rahmen von Artikel 4 Absatz 4 der Richtlinie nicht der gleiche Ermessensspielraum zu, wenn sie die Fläche derartiger Gebiete ändern oder verkleinern.

Weitere Informationen:

Entscheidungsbesprechung:

Fundstellen (Leitsätze und Gründe):

  • Slg. 1993, I-4221
  • NuR 1994, S. 521 ff.
  • ZUR 1994, S. 305 ff.

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