VG Oldenburg, Urteil v. 22.11.2010 – 1 A 510/08 – [Unterems]

Nach einer spektakulären Entscheidung im Verfahren um den einstweiligen Rechtsschutz und einer umstrittenen Vorabentscheidung des EuGH liegt nun das vollständige Urteil in der Hauptsache vor. In des Sache geht es um die Listung des  letzten von der Kommission für ausweisungswürdig erachtete noch nicht in die Unionsliste aufgenommene potenzielle FFH-Gebiet Deutschlands – das Gebiet “Unterems und Außenems” (DE 2507-331).

Die Stadt Papenburg hatte im Wege der vorbeugenden Unterlassungsklage die BRD auf Unterlassen der nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL erforderlichen Einvernehmenserteilung in Anspruch genommen. Die Klage ist nunmehr vom VG Oldenburg mangels Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen worden. Entscheidungserheblich seien hier Vorschriften des Unionsrechts, die den Gemeinden keinerlei wehrfähige Rechte zugestehen.

Die Kammer hatte dies im Vorlagebeschluss vom 13.05.2008 noch für möglich gehalten. Der EuGH hat dann mit Urteil vom 14.01.2010 konstatiert, dass im Rahmen der Einvernehmenserteilung nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL nur naturschutzfachliche Erwägungen eine Rolle spielen, eine auch sonstige Belange einbeziehende Abwägungsentscheidung stehe den Mitgliedstaaten insoweit nicht zu. Demnach könne eine solche Klage allenfalls auf naturschutzfachliche Erwägungen gestützt werden, wozu aber die Klägerin als Gemeinde nicht berufen ist. An dieser Sichtweise habe auch der Vertrag von Lissabon, insbesondere Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV nichts geändert. Selbst wenn damit eine rechtliche Verfestigung der kommunalen Selbstverwaltung auf EU-Ebene einherginge – was bezweifelt wird -, so entfiele damit zumindest das für eine vorbeugende Klage erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse, weil dann eventuelle Rechtsverstöße auch im Nachhinein, nämlcih vor dem EuGH, noch gerügt werden könnten.

Die Klägervertreter hatten um erneute Vorlage zum EuGH ersucht, weil der EuGH noch nicht geklärt habe, wie mit den von Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL belassenen Spielräumen umzugehen sei. Diese seien so weit, dass sie auch unter der Prämisse nur naturschutzfachliche Kriterien zu Wort kommen zu lassen, Raum für verfassungsrechtliche Einstrahlungen bieten. Damit waren komplizierte Fragen nach der gestuften gerichtlichen Kontrolldichte bei der Ausfüllung von Beurteilungsspielräumen und den Maßstäben bei nicht rein naturwissenschaftlich zu füllenden Entscheidungen aufgeworfen. Diesen Fragen begegnete das VG Oldenburg mit einer wenig überzeugenden Ausweichbewegung:

Zum einen enthalte Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL eine abschließende Regelung, sich bietende Spielräume seien allein durch die Unionsorgane auszufüllen. Wozu dann die Einvernehmenserteilung, fragt man sich.

Zum anderen habe der EuGH mit seinem Urteil vom 14.01.2010 klargestellt, dass Erwägungen außerhalb der FFH-Richtlinie bei der Gebietsauswahl außen vor zu lassen seien. Auf den Umstand, dasss die von der FFH-Richtlinie (insbesondere Anhang III) genannten Kriterien einer wissenschaftlichen Ableitung nicht zugänglich sind, sondern unabdingbar auch letztlich rein politische Entscheidungen erfordern wird nicht eingegangen. Das VG Oldenburg ebnet damit den Boden für einen weiten rechtsfreien Raum, was angesichts der mit der Gebietsauswahl verbundenen Restriktionen für die betroffenen Flächennutzer jedenfalls verfassungsrechtlich nicht unproblematisch ist. Vielmehr wird man insoweit die These aufstellen können, dass unionsrechtliche Spielräume innerstaatlich nach verfassungsrechtlich verbürgten Prämissen auszugestalten sind, also gleichsam im Sinne der verfassungsfreundlichsten innerstaatlich gerade noch judizierbaren Anwendung.

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