OVG NRW, Urteil v. 31.05.2011 – 20 D 80/05.AK – [Flughafen Münster/Osnabrück]

Nachdem das BVerwG mit Urteil vom 09.07.2009 das Urteil des OVG Münster vom 13.07.2006 zum Flughafen Münster/Osnabrück aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen hat, hat nun auch das OVG mit Urteil vom 31.05.2011 das Vorhaben auch selbst für nicht mit den habitatschutzrechtlichen Vorschriften vereinbar erachtet. Es gab der Klage des NABU im Hilfsantrag statt, erklärte den entsprechenden Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig und nicht vollziehbar.

Das BVerwG hatte seinerzeit beanstandet, dass im Rahmen der Abweichungsprüfung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, dass es sich bei dem hier zur Rechtfertigung des Vorhabens herangezogenen Bedarf nicht um eine feststehenden Größe handle, sondern um einen lediglich prognostisch ermittelten und damit unsicheren Bedarf. Dies hat das OVG Münster nunmehr aufgegriffen und in seinem Urteil vom 31.05.2011 dezidiert dargelegt, dass es dem hier von der Vorhabenträgerin geltend gemachten Bedarf an der geforderten beachtlichen Wahrscheinlichkeit fehle.

Zunächst stellte das Gericht den Obersatz auf, dass die vom BVerwG geforderte Bewertung der Wahrscheinlichkeit die Bewertung sämtlicher für und gegen den Eintritt der Nachfrage sprechender Umstände voraussetze, weil die Wahrscheinlichkeit nicht anders quantifizierbar sei. Bemerkenswert und zugleich gewissermaßen ein Paradigmenwechsel in der Fachplanung ist, dass sich das OVG sodann auch dezidiert mit dem gewählten Prognosemodell auseinandersetzt und dieses darauf prüft, inwieweit sich hiermit im Vergleich zu anderen, ebenfalls denkbaren Modellen ausreichend wahrscheinliche Aussagen generieren lassen. Während des Weiteren das BVerwG seinerzeit die bestehenden Prognoseunsicherheiten beim Tatbestandsmerkmal des Überwiegens in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG) verortete, stellt das OVG Münster nunmehr zutreffend klar, dass entsprechende Überlegungen zumindest auch bereits im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der zwingenden Gründe anzustellen seien.

Sodann bestätigte auch das OVG Münster nochmals, dass eine Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zwar grundsätzlich eine ordnungsgemäße FFH-Verträglichkeitsprüfung voraussetze, für die Zwecke einer lediglich hilfsweisen Abweichungsentscheidung oder bei entsprechenden Erkenntnislücken könne aber durchaus auf Worst-Case-Annahmen zurückgegriffen werden. Es müsse die tatsächlich in Rechnung zu stellende Beeinträchtigung im Wege der Wahrunterstellung qualitativ und quantitativ zutreffend zu Grunde gelegt werden. Ausgehend hiervon müsse dann eine entsprechende Bewertung vorgenommen werden.

Sehr skeptisch zeigt sich das OVG Münster hinsichtlich der Ansicht des BVerwG, Kohärenzsicherungsmaßnahmen könnten das Gewicht des Integritätsinteresses durchaus mindern. Dies sei schwerlich mit der sich aus Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 S. 1 FFH-RL ergebenden Systematik zu vereinbaren, zumal das Integritätsinteresse des FFH-Gebiets und das Interesse an der Kohärenz von Natura 2000 nach dem Regelungssystem der FFH-Richtlinie unterschiedliche Dinge seien und für Kohärenzsicherungsmaßnahmen anders als z. B. für Vermeidungsmaßnahmen nicht der volle Nachweis ihrer Wirksamkeit erbracht werden müsse.

Das Urteil zeigt eindrucksvoll, dass im Bereich des Habitatschutzrechts noch längst nicht alle Messen gesungen sind. Es gibt nach wie vor noch offene Fragen und viel Potenzial für unangenehme Überraschungen für Vorhabenträger und Genehmigungsbehörden.

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